Fakt und Fiktion: H. H. Holmes und das Mörder-Hotel

»I was born with the devil in me. I could not help the fact that I was a murderer, no more than the poet can help the inspiration to sing. I was born with the evil one standing as my sponsor beside the bed where I was ushered into the world, and he has been with me since.«

H. H. Holmes

Fakt

16. Mai 1860. Herman Webster Mudgett wird auf einer Farm in New Hampshire geboren. Der Junge wächst unter der gestrengen Hand seines Vaters heran und wird auffällig, weil er kleine Tiere aufschneidet und ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abzieht. Auch erfindet er gelegentlich nützliche Maschinen. Seine Schulkameraden hänseln und zwingen ihn, auf ein Skelett zu starren, was er selbst später als prägendes Erlebnis bezeichnen wird. Sein Vater verprügelt den Jungen und sperrt ihn in eine winzige Kammer auf dem Dachboden.

Schon früh zeigt Mudgett, der sich später Dr. H. H. Holmes nennen wird, großes Interesse an allem Okkulten und dem Sinistren. Er hat außerdem eine blühende Fantasie, neigt zum Lügen und zur Hochstapelei, sein Doktortitel ist frei erfunden. Nach seiner Verhaftung wird er behaupten, er sei bereits seit frühester Kindheit vom Teufel besessen gewesen. 1882 beginnt er ein Medizinstudium in Michigan, wo er durch eine ungewöhnliche Begeisterung für Anatomie auffällt. Er hält sich außerdem mit kleinen Jobs und diversen Betrügereien finanziell über Wasser. Beispielsweise entwendet er Leichen aus den Kellern der Universität, verbrennt diese und versucht dann, Lebensversicherung zu erschleichen.

Fiktion

1886 landet Mudgett in der Großstadt Chicago und ist sofort von der Anziehungskraft dieses »Molochs, in dem jeder anonym ist« begeistert. Hier ist er in verschiedenen okkulten Zirkeln tätig und tritt schließlich auch einer Sekte von Kultisten bei, welche bewusst die Endzeit herbeiführen wollen, um die Erde für die Ankunft uralter Götter vorzubereiten (vgl. z.B. H.P. Lovecraft). Hier zeigt Holmes seine wahre Begabung für okkulte Lehren und Zusammenhänge, verbessert und entwickelt bald eigene Rituale und steigt so schnell in den Rängen des geheimen Ordens auf.

So wird er auserkoren, 1888 im Auftrag der Sekte in Whitechappel, London, einige besonders schockierende Morde zu begehen, welche als Taten von Jack the Ripper in die Geschichte eingehen werden. Damit versuchen die Kultisten, Bemühungen zu ihrer Bekämpfung seitens der Illuminaten zu verhindern, mit denen sie im Clinch liegen.

Fakt

In diesem Zusammenhang besonders interessant ist das so genannte »Goulston-Street-Graffito«, was auf eine Verbindung des Rippers zu den Freimaurern hindeutet, welche ihrerseits von den Illuminaten unterwandert worden sein sollen, um neue Mitglieder zu rekrutieren.

Fiktion

Doch die Aktion misslingt, die Vergeltung der Illuminaten zerschlägt den Orden der Kultisten, doch Holmes’ Wissen und Fähigkeiten ist längst über das seiner ehemaligen Lehrmeister hinausgewachsen, sodass er seine Studien nun allein weiterbetreibt. Hier stößt er erstmals auf die Prinzipien, die es ihm später ermöglichen werden, aus seinen Opfern im Moment ihres Todes beträchtliche Energiemengen (s.a. Seelenenergie, kosmische Energie, Freie Energie) freizusetzen und diese in Flaschen (Bulben) zu speichern, bis er sie zu Ritualzwecken einsetzt, eine Gesetzmäßigkeit, der alle Tier- und Menschenopfer seit der Frühzeit zugrundeliegen. Holmes gelangt zu der Überzeugung, dass Ritualmagie auch eine Art Wissenschaft ist, die festen Gesetzmäßigkeiten folgt, die allerdings außer ihm nur wenige je wirklich verstanden haben oder willens sind, in aller Konsequenz durchzuführen.

Fakt

Da seine Forschungen enorme Geldmengen verschlingen und er außerdem ständig neue Versuchspersonen braucht, beginnt er bald, systematisch zu morden und die Körper seiner Opfer an Universitäten zu verkaufen. Außerdem erschleicht er sich Geld durch verschiedene Betrügereien: So ehelicht er zum Beispiel die Witwe eines reichen Apothekers und bringt sie anschließend um, um an das Erbe zu gelangen.

Von den Einnahmen lässt er ein großes Hotel bauen, dass er fortan seine »Burg« (Holmes-Castle) nennt, da die Außenfassade mit ihren Erkern und Türmchen an eine mittelalterliche Burg erinnert. Im Inneren verbergen sich gedämmte Kammern, Geheimgänge, Türen, die ins Nichts führten und allerlei Tötungsinstrumente.

H. H. Holmes´ so genanntes “Murder Castle” in der 63d Street in Chicago
Bildquelle: https://www.history.com

Fiktion: Das Portal

Im Mörderhotel betreibt er weitere Forschungen, bald gelingt es ihm, sein Verfahren zur Energiegewinnung zu perfektionieren. Sein Ziel ist es, ein Portal zu einer Dimension zu schaffen, in welcher die »Großen Alten« (s. H.P. Lovecraft u.a.) jenseits unserer Zeit- und Raumbegriffe existieren. Im Gegensatz zu den zerschlagenen Kultisten will er diese Götter jedoch nicht beschwören, um sie über die Erde herrschen zu lassen, Holmes will einen Handel: Im Austausch gegen die Auslöschung allen Lebens auf der Erde will er in seinem eigenen Reich, der Riftwelt, zu einem gottgleichen Wesen, und selbst zu einem der unsterblichen Großen Alten werden.

Aus einer kleinen Meldung in der Zeitung erfährt er von den Ausgrabungen des Ägyptologen Howard Carter. Dieser hat in einer Grabkammer eine Steintafel gefunden, in der Holmes einen Teil einer in Kultistenkreisen legendären Prophezeiung wiedererkennt. Angeblich soll man mit den auf dieser Tafel beschriebenen Artefakten in der Lage sein, aus dem Nichts Realitäten zu erschaffen – mit nichts als der Kraft der eigenen Gedanken. Holmes sieht darin eine Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen und ein unsterblicher Gott zu werden, der über die gesamte Existenz einer neuen Realität herrscht, die er nach seinen Vorstellungen schaffen will.

Die Kreatoren

Er findet heraus, dass sich die drei Artefakte jeweils im Besitz der führenden Geister seiner Zeit befinden (und vermutlich immer in der Nähe großer Denker befunden haben). In seiner Zeit sind dies Nikola Tesla, Helena Petrovna Blavatsky und Jeannette Baret. Holmes lädt diese sowie den Ärchäologen Carter nach Chicago ein und tötet den Archäologen, als der er sich bei dem Treffen ausgibt. Es gelingt Tesla, Blavatsky und Baret, jeweils eine Version der aus ihrer Sicht idealen Realität zu schaffen: Aus den drei Artefakten entstehen drei neue Parallelwelten: Drei verschiedene Versionen unserer Realität, in jeder einzelnen wurde die Lehre ihres Schöpfer umgesetzt. So gibt es in Teslas Welt freie Energie für alle Menschen, in Blavatskys Welt gehört Magie und spirituelle Liebe zum Alltag und Barets Welt ist eine grüne Oase, in der die Menschen sich gemäß des Ideals vom »edlen Wilden« zu tierähnlichen Geschöpfen entwickelt haben, welche im Einklang mit der Natur leben.

Dieser Schaffensprozess hat jedoch für die in unserer Welt zurückgebliebenen Schöpfer einen hohen Preis: Sie büßen einen großen Teil ihrer Ideenfülle und Motivation ein. So wird Tesla fortan vergeblich versuchen, eine Maschine zu konstruieren, welche die Fähigkeiten der Artefakte nachahmt und es jedem Menschen ermöglichen soll, in seiner eigenen Idealwelt zu leben, Blavatsky verliert den Bezug zu ihrer eigenen Lehre, welche zunehmend zu esoterischem Hokuspokus verkommt und Jeannette Baret gibt sich in den Wäldern bei Paris zügellosen Orgien hin, bis sie dabei von ihrem Ehemann ertappt und in eine Nervenheilanstalt gesteckt wird.

Holmes hingegen sieht sich einer großen Chance beraubt und versucht, die drei aufzuspüren, um ihnen das Geheimnis der Erschaffung neuer Welten zu entlocken. Nachdem ihm Tesla immer wieder entkommen kann, weil er wegen seiner zunehmend exzentrischer werdenden Erfindungen inzwischen auch unter Beobachtung der Illuminaten und diverser Geheimdienste (2. Weltkrieg!) steht, und Baret nach einer vorgenommenen Lobotomie nicht mehr ansprechbar ist, versucht er es bei Helena Blavatsky, die inzwischen ihren Tod vorgetäuscht hat und sich in der verlassenen Whitby-Abtei in Yorkshire, England versteckt. Es gelingt es ihm, ihr nach mentaler Folter zumindest einen Hinweis zu entlocken: Die durch die Artefakte geschaffenen Welten lassen sich mittels eines geeigneten Rituals zu einer einzigen, neuen Welt vereinen.

Zurück in Chicago macht sich Holmes, unterstützt von seinem Assistenten Benjamin Pitezel an die Erschaffung eines neuen Rituals, für das er zahlreiche Menschenopfer benötigt, welche ihm die zeitgleich stattfindende Weltausstellung liefert. Der charakterschwache Kriminelle Pitezel wurde derweil von einem Vorläufer des FBI rekrutiert, weil man inzwischen auch dort auf Holmes aufmerksam geworden ist.

Fakt oder Fiktion?

Am Vorabend der Weltausstellung in Chicago 1893 gelingt es Holmes, über einhundert Menschen zu töten und ihre Energie in Bulben zu konservieren. Der Magier vollzieht das Ritual und vereinigt die drei Idealwelten, wird dabei aber von seinem Assistenten während des entscheidenden Opfers – Pitezels eigene Tochter soll dafür herhalten – unterbrochen. Pitezel erschießt Holmes, dessen Geist noch durch das Tor tritt und dort eine Version des Horrorhotels samt des umliegenden Stadtviertels erschafft – das Viertel der Mickies und die Vorfahren der Farmer entstehen. Aus den drei Idealwelten ist eine einzige geworden, in der sich Bruchstücke der drei Ursprungswelten mit dem Gestalt gewordenen Wahnsinn des Massenmörders zu einer schrecklichen, halbfertigen Realität vermischen.

Fakt

In unserer Welt wird der Mörder gefangengenommen, als Bundesmarshalls und Polizisten das Mörderhotel stürmen. Später wird Holmes für seine Verbrechen verurteilt und hingerichtet. Seiner Bitte, seinen Körper in Beton zu gießen und zehn Fuß tief zu vergraben, wird stattgegeben.

Fiktion

Holmes’ Seele befindet sich jedoch längst in der von ihm geschaffenen Riftwelt, allerdings nicht wie von ihm geplant als Gott, sondern als Gefangener: Holmes’ Geist ist an das Mörderhotel gebunden. Sein Körper starb exakt im Moment der unheiligen Genesis und verband sich deshalb mit dem Mörderhotel, das seitdem als finsteres schwarzes Spukhaus am Rand des Stadtviertels der Mickies steht, welches nun auf allen Seiten von einer undurchdringlichen Wüste umgeben ist. Man meidet das Haus, weil es darin spuken soll und es einem »Stimmen im Kopf beschert«. Der Mann, der später als Onkel Ruggs bekannt werden wird, suchte beispielsweise Zuflucht in dem Haus und ließ die Stimmen in seinen Kopf. Auch der Mickies-Boss Napoleon sucht das Haus gelegentlich auf, um seine Artefakte darin zu verstecken. Bald beginnen die Stimmen auch zu ihm zu sprechen.